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Beitrag vom 26.06.2008
Bildungsbericht 2008
Andrea Petzenhammer
National verbessert, international immer noch unterdurchschnittlich: Deutschland braucht mehr StudentInnen und AbiturientInnen und muss für soziale Gerechtigkeit im Bildungssystem sorgen.
Der Bildungsbericht, erstmals in 2006 veröffentlicht, ist als Bestandsaufnahme des deutschen Bildungssystems zu sehen. Alle zwei Jahre stellen ExpertInnen nationale Entwicklungen vor und messen die Ergebnisse der Maßnahmen im internationalen Vergleich. Zudem werden die Wechselwirkungen von Gesellschaft, Politik und Bildung dargestellt. Auftraggeber sind die Kultusministerkonferenz (KMK) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Wie schon aus dem von der Bundesregierung veröffentlichten Reichtums- und Armutsbericht 2008 bekannt, steht die deutsche Gesellschaft vor großen Herausforderungen im Renten- und Sozialsystem. Die Überalterung der BürgerInnen führt zu einem Ungleichgewicht zwischen ArbeitnehmerInnen und RentnerInnen, weshalb in Zukunft mehr BürgerInnen länger arbeiten müssen. Auch die Art der Arbeit hat sich verändert. Deutschland ist wesentlich mehr auf "Humanressourcen" angewiesen, also auf personenbezogene Dienstleistungen sowie Ergebnisse aus Informations- und Wissensberufen. Der Bedarf an ArbeiterInnen mit fehlenden oder niedrigen Bildungsabschlüssen nimmt hingegen ab. ArbeitnehmerInnen benötigen also einen möglichst hohen schulischen Abschluss und gleichzeitig müssen vor allem mehr Frauen und ältere Menschen effektiver in den Arbeitsmarkt integriert werden.
Der Bericht 2008 zeigt die Probleme, die für BildungspolitikerInnen in den nächsten Jahren zur Herausforderung werden. Vor allem MigrantInnen benötigen gezieltere Unterstützung, die Wechsel in höhere Bildungswege müssen erleichtert werden und die Weiterbildung deutlich an Dynamik gewinnen. Für 2013 sind außerdem zusätzliche 740.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geplant, was einen erheblichen Neubedarf an qualifizierten PädagogInnen zur Folge hat. Außerdem zeichnet sich das Schulsystem derzeit durch das hohe Durchschnittsalter seiner LehrerInnen aus, bis 2015 muss die Hälfte aller Stellen neu besetzt werden.
Kleinkindbetreuung soll deutlich ausgebaut werden
Im Bereich der Vorschulbetreuung von drei bis unter sechs Jahren werden inzwischen nahezu alle Kinder erreicht – ab einem Alter von 4 Jahren besuchen 94 Prozent einen Kindergarten oder eine Tagespflegeeinrichtung. Bei den unter Dreijährigen finden sich große Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern. Während in Ostdeutschland 40,7 Prozent der Kleinsten betreut werden, sind es in Westdeutschland nur 9,9 Prozent. Das liegt vor allem an den fehlenden Einrichtungen, besonders in den ländlicheren Gegenden Westdeutschlands fehlen die Kapazitäten. Eine weitere Herausforderung der nächsten Jahre wird der hohe Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in Ballungszentren, der sich, abhängig vom Wohnort, auf einzelne Kindergärten konzentriert. Hier müssen die ErzieherInnen vor allem den sprachlichen Anforderungen, als Grundvoraussetzung für einen späteren Schulerfolg, gerecht werden können.
Kinder mit Migrationshintergrund in der Schule benachteiligt
Der Trend in den Schulen geht in Richtung frühere Einschulung und höhere Abschlüsse. Während die Zugänge auf die Hauptschulen stagnieren, nahmen die Gymnasien 2006/07 als meistbesuchte Schulform 40 Prozent aller SchülerInnen auf. Das sind 2,3 Prozent mehr als in den Jahren 2004/05. Problematisch ist allerdings die Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund. Ausländische SchülerInnen besuchen bei gleicher Eignung weniger oft eine weiterführende Schule, Kinder aus der Türkei, Italien oder der ehemaligen Sowjetunion erreichen nur halb so oft den gleichen Abschluss wie Kinder aus deutschen Familien.
Ähnlichen Risiken sind Kinder aus armen oder bildungsfernen Schichten ausgesetzt, und mindestens eines der beiden Merkmale trifft auf immerhin 28 Prozent der Kinder in Deutschland zu. Jugendliche, deren Eltern einen Hochschulabschluss haben, machen drei mal häufiger Abitur als Kinder aus bildungsfernen Familien.
Äußerst beunruhigend sind die Umstände, unter denen Hauptschüler (k)eine Ausbildungsstelle finden. 40 Prozent aller AbgängerInnen mit und ohne Hauptschulabschluss befinden sich zweieinhalb Jahre nach Schulende immer noch im Übergangssystem, also in außerbetrieblichen, verstaatlichten Kursen, die für eine berufliche Tätigkeit qualifizieren sollen.
Ganztagsangebote werden selten genutzt
Die Ganztagsangebote, eine Chance für Kinder mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Familien, haben sich zwischen 2002 und 2006 fast verdoppelt. Allerdings ist es dennoch erst 30 Prozent aller Schulen möglich, ganztägige Betreuungen zu bieten, und diese werden nur sehr zögerlich genutzt. Gerade 10 Prozent der Angebote in den Realschulen sind besetzt, in den Grund- und Hauptschulen sind es weniger als 20 Prozent. Ursache hierfür sind nach Informationen des Deutschen Jugend Instituts (DJI) bei den bildungsfernen Familien meist finanzielle Erwägungen, während akademisch gebildete Eltern eher ein qualitativ nicht hochwertiges Angebot befürchten.
Einen Erfolg können die Schulen insgesamt melden: Mädchen wiederholen weniger oft eine Jahrgangsstufe, gehen öfter auf ein Gymnasium und beginnen häufiger ein Studium als die Jungen. Auch nach einem Hauptschulabschluss finden sie schneller eine qualifizierende Ausbildung und bleiben weniger lang im Übergangssystem.
Zu wenige StudienanfängerInnen
Prof. Dr. Andrä Wolter von der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) wies auf der Tagung "Bildung in Deutschland" am 23. Juni 2008 auf ein Mobilisierungsdefizit bei den StudienanfängerInnen hin. Studiengangsbegrenzungen (Numerus clausus), unsichere Arbeitsmarktentwicklungen und die Unübersichtlichkeit des Studienangebots haben dafür gesorgt, dass 2005 innerhalb der gleichaltrigen Generation nur 36 Prozent der 18 bis unter 22 Jährigen ein Studium aufnahmen. Das liegt unter dem OECD-Mittel (54 Prozent) und weit unter Ländern wie Schweden (75 Prozent)und Finnland (73 Prozent).
Zudem brechen 21 Prozent der StudentInnen ihr Studium wieder ab, besonders betroffen sind die technischen Fächer, Sprach- und Kulturwissenschaften sowie Bachelor-Studiengänge an Universitäten wie Fachhochschulen. Auch hier schneiden die Frauen besser ab als die Männer, sie beenden ihr Studium doppelt so oft erfolgreich wie ihre männlichen Kommilitonen. Doch bereits bei den weiterführenden Abschlüssen zeichnet sich die Trend-Wende für die Berufswelt ab. Während 2006 1,2 Prozent der männlichen Studenten die Universität mit einem Master verließen, schafften das nur 0,8 Prozent der weiblichen Studenten. Die Studentinnen sind bei Lehramts- sowie Bachelorabschlüssen erfolgreicher.
Prof. Dr. Andrä Wolter verwies im Zusammenhang mit den zu niedrigen Studierendenanfängerzahlen besonders auf die kommende Konkurrenz von qualifizierten dualen Ausbildungen. Diese könnten die Bachelor-Abschlüsse vor allem im "Informatik-Bereich und in kaufmännischen Ausbildungen in den Hintergrund drängen".
Studiengebühren wurden innerhalb des Berichts nicht als Grund für die nur marginal steigende Anzahl der Studierenden untersucht, obwohl sich in den Ländern ohne Beitragserhebung eine etwas höhere AnfängerInnenzahl ergab.
Weiterbildung weiterhin zu wenig genutzt
Im Bereich der Weiterbildung wurden die Finanzmittel in Unternehmen um 16 Prozent und die öffentlichen Zahlungen um 70 Prozent gekürzt. Neben diesen drastischen Kürzungen findet auch hier eine soziale Selektion statt, denn die Beteiligung innerhalb gering qualifizierter Bevölkerungsgruppen und bei älteren Menschen ist rückläufig. Nur noch 34 Prozent der ArbeiterInnen über 50 Jahre qualifizieren sich weiter. Der bereits im Bildungsbericht 2006 kritisierte Unterschied zwischen öffentlicher Rhetorik zum lebenslangen Lernen und der tatsächlichen Beteiligung der Bevölkerung an der Weiterbildung besteht also weiterhin.
Gefordert sind integrative Gesamtkonzepte und ein kostenfreies Studium
Viele Probleme – etwa Benachteiligungen von Kindern aus bildungsfernen Familien oder mit Migrationshintergrund – könnten mit fundierten Ganztags- und Gesamtschulkonzepte abgemindert werden. Besonders die skandinavischen Länder zeigen mit ihrer Auffassung von Schule und Betreuung, welche Alternativen zum selektiven und elitär ausgerichteten Teilungssystem in Deutschland bestehen. So machen Ganztagsangebote vor allem dann Sinn, wenn sie in integrativen Gesamtschulen angeboten werden, die SchülerInnen also erst spät getrennt werden. Ein ganztägiges Programm schränkt weitere Aktivitäten ein, und für ein späteres Berufsleben sind frühe Kontakte aber äußerst hilfreich – insbesondere für HauptschülerInnen. Doch nicht nur Kinder würden von integrativen Gesamtkonzepten profitieren. Frauen könnten unkomplizierter und länger am Berufsleben teilhaben und würden damit die Probleme des Renten- und Sozialsystems entschärfen.
Um neben der Anzahl der ArbeitnehmerInnen auch die Qualität der Abschlüsse steigern zu können, müssen deutlich mehr junge Menschen studieren. Studiengebühren werden aber den Trend zur betrieblichen Ausbildung verstärken und die angestrebte Steigerung auf einen Anteil von 40 Prozent an StudentInnen torpedieren. Selbstverständlich ist eine zusätzliche finanzielle Belastung ein Hinderungsgrund für Studierende aus wirtschaftlich schwächeren Familien. Bereits 2005 kritisierte der Informationsdienst Wissenschaft sowie das Deutsche Studentenwerk Studiengebühren als "Gefährdung für den Wirtschaftsstandort Deutschland", da mehr – und nicht weniger – gut ausgebildete Fachkräfte benötigt würden.
Der Bildungsbericht wurde gemeinsam von der Kultusministerkonferenz und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegeben. Die Mitglieder der bearbeitenden AutorInnengruppe kommen aus wissenschaftlichen Einrichtungen und Statistischen Ämtern. Beteiligt waren das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), das Deutsche Jugendinstitut (DJI), die Hochschul- Informations-System GmbH (HIS), das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI) sowie die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Der Bericht und das ebenfalls von der AutorInnengruppe erstellte Indikatorenkonzept sowie sämtliche Datengrundlagen sind verfügbar unter www.bildungsbericht.de.
Weitere Infos unter:
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): www.bmbf.de
Kultusministerkonferenz: www.kmk.org
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Quellen:
3. Reichtums- und Armutsbericht (2008)
Tagung "Bildung in Deutschland" am 23. Juni 2008 in der Landesvertretung Baden-Württemberg, Berlin.
Die Vorträge der Tagung sind abrufbar unter: www.dipf.de.
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